Daß ich kein Jäger, wußte das Reh / Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee

ILLUSTRATIVE  VILLA ELISABETH BERLIN
AUSSTELLUNGSKATALOG /
EXHIBITION CATALOGUE 

Moderne Illustration kann eine "progressive Universalpoesie" sein. Auch wenn der junge Romantiker Friedrich Schlegel vor über 200 Jahren vermutlich nicht an Lars Henkel gedacht hat, als er seine Forderung nach einer neuen, alle Gattungen und Stilebenen vereinenden Kunst aufstellte. Zumindest lässt sich bei Henkel von einer Universalgrafik sprechen: Virtuos spielt der in Aachen, Norwich und Köln ausgebildete Künstler, Illustrator und Designer auf der Klaviatur graphischer Techniken und Referenzsysteme. Henkel zeichnet, schafft Skulpturen, fotografiert und fügt alles zu digitalen Collagen zusammen.
Wie alte Aufnahmen von märchenhaft-surrealen, unwirklich in Nebel getauchten Installationen oder Szenerien wirken diese Bilder, die von seltsamen armlosen Puppen, schwebenden Holzscheiten, spitzen Zweigen oder auch von Rehen im Wald bevölkert werden. Gedanken an Bilderfindungen von Yves Tanguy und anderen Surrealisten werden wach. Statt rätselhafter deformierter Objekte findet sich hier jedoch eine fotografisch präzise, im Falle der Zeichnungen und Skizzenbücher teilweise altmeisterliche Gegenständlichkeit. Auch eine erkennbare Dramaturgie innerhalb der Serie ist zu verzeichnen, bei der sich die Bildsituation in der Art von Standbildern eines Puppentrickfilms Schritt für Schritt weiterentwickelt.
Eine ikonographische Beerenlese fällt jedoch nicht leicht. Wiederum auf die Romantik und ihre kritische Betrachtung der menschlichen Rationalität verweist die Verwendung des Topos ,Wald' in der Arbeit Waldminiatur, der auch hier als Metapher für das Undurchdringliche, Dunkle fungiert. Auch in der Serie Wundholz spielt dieser Aspekt eine Rolle, wenn beispielsweise die Stirnen der Figuren von Ästen und Zweigwerk durchdrungen werden. Der Begriff ,Wundholz' stammt eigentlich aus der Forstwirtschaft und bezeichnet die knotige Narbenbildung nach einer Verletzung der Baumrinde. Neben dieser NarbenMetaphorik kann im Titel ein Wortspiel zwischen Wunde, Wunder und (Kreuzes-) Holz entdeckt werden, welches christliche Konnotationen transportiert.
An dieser Stelle ist auch die Brücke zur Materialmetaphorik eines Joseph Beuys zu erwähnen, der sich ebenfalls unermüdlich mit den Erbstücken der (deutschen) Romantik auseinandergesetzt hat. Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit als die blinde Suche im Wald der Zeichen, nämlich die vermutete Rationalitätskritik ernst zu nehmen und sich auf die Einfühlung in die Poesie der Bilder einzulassen. Und so könnte als Leitfaden für den nach Erklärung suchenden Betrachter gelten, was in Heinrich Heines Waldeinsamkeit bei der Annäherung an die Waldbewohner ironisch konstatiert wird: „Daß ich kein Jäger, wußte das Reh, / Daß ich kein Vernunftmensch, wußte die Fee.“


The accomplished artist, illustrator and designer Lars Henkel, having studied in Aachen, Norwich and Cologne performs with virtuosity with the use of graphical techniques and referenced systems in clavier. He assembles his drawings, sculptures and photography in digital collages.
The images have the appeal of a surrealistic fairytale, installations and scenarios are rendered unrealistic by the mist, armless dolls, logs and sharp branches suspended in mid air or deer inhabiting a forest. Thoughts surrounding the creations of Yves Tanguy and other surrealists are evoked. In place of puzzlingly deformed objects a certain photographic precisionand in the case of the illustrations and sketchbooks a partially virtuoso actuality can, however be deciphered. Within the series, that assimilates the developing step-by-step statues of a cartoon starring dolls, a dramaturgical theme can be recognised.
The hunting and gathering of iconographical substance is not easily pursued. The application of the Topos ‘Wald', (“Foresť) in the piece Waldminiatur, is a reference to romanticism and the critical regard for human rationality and serves as a metaphor for the impenetrable. This aspect of Henkel's work can also be observed in elements of the series Wundholz, in which, for example branches and undergrowth permeate the figures’ foreheads. Originally derived from forestry the title also conceals a word play with Christian implications, the word ‘wunde, meaning wound and wunder, meaning wonder. At this point in the description of metaphorical reference the work becomes comparable with that of Joseph Beuys, another relentless employee of inherited (German) romantic symbolism.

text by ILLUSTRATIVE

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