… eine gute form der kommunikation

Ein Interview von Andreas Rauth

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Jitter: In der ersten Ausgabe von Jitter, die in 2007erschien, hatten wir erstmals über deine Arbeit berichtet. Damals hattest du gerade ein Stipendium der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart angetreten. Was ist seither passiert?
Lars Henkel: In der Zeit ist viel passiert, das kann ich jetzt gar nicht im Einzelnen aufführen. Ich arbeite natürlich weiterhin als kommerzieller Illustrator für Kunden, was die meiste Zeit einnimmt. Dazu hatte ich die Gelegenheit, mehrere Semester als Dozent für Illustration zu unterrichten. Es war eine interessante Erfahrung mit Studenten zusammenzuarbeiten. Ich muss gestehen, dass ich sie anfangs unterschätzt habe. Obwohl sie erst am Beginn ihrer Karriere stehen und sich noch finden müssen, wissen sie viel und verfügen über eine grosse Sensibilität. So konnten wir einige interessante Projekte realisieren.

Jetzt hast du im ZEIXS Verlag dein Portfolio veröffentlicht, wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Marc Wnuck von ZEIXS habe ich bei der Zusammenarbeit am ersten ZEIXS Kartenspiel kennengelernt. Irgendwann hatte er die Idee für eine Portfolioserie und mich eingeladen mitzumachen. Das Konzept dieser Serie ist relativ simpel, in jedem Portfolio wird ein Künstler, Illustrator, Fotograf oder ähnliches präsentiert. Dabei darf jeder Künstler sein Heft selbst gestalten, nur ein paar durchgehende Designelemente bleiben bestehen, wie Format, Poster-Umschlag, Banderole oder die Auflage von 999 Stück. Mein Portfolio war die erste Ausgabe, als nächstes wird Roman Klonek das Heft mit seinen Holzdrucken füllen.
Bei der Auswahl der Arbeiten im Heft haben wir uns für eine Mischung aus unterschiedlichen Projekten und Stilen entschieden. So sind freie wie kommerzielle Arbeiten vertreten, Collagen und Zeichnungen, Skizzenbuchseiten und Experimente. Es machte keinen Sinn, diese Projekte separat zu zeigen, da sie alle zusammenhängen und sich gegenseitig beeinflussen. In meiner täglichen Arbeit springe ich zwischen angewandten und persönlichen Projekten genau wie zwischen analoger und digitaler Umsetzung. So fühlt sich diese Mischung von Themen und Techniken für mich sehr natürlich an, weil sie meinen kreativen Prozess widerspiegelt.

Mehrere ausgewählte Papiersorten, ein Poster als Schutzumschlag, zusammengehalten von einer Banderole verleihen dem Buch einen besonderen Charakte. Weshalb der hohe Aufwand?
Sowohl Marc als auch ich haben eine Vorliebe dafür, Druckerzeugnisse mit kleinen Extras zu entwickeln. Es macht einfach Spass, auf diese Weise ein schönes Produkt herzustellen. Persönlich sammle ich auch liebevoll gestaltete Bücher und hoffe, dass andere Leuten diese Faszination teilen. Bei diesem Portfolio haben wir nur ein paar Möglichkeiten der Papier- und Druckveredelung genutzt, dabei gibt es noch so viele andere wunderbare Möglichkeiten, ich wünschte es gäbe häufiger die Gelegenheit, diese zu nutzen.

Für deine eigenwilligen Collagen und Zeichnungen wählst du häufig beunruhigende Themen, die mit der Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des Menschen zu tun haben und in unsichere, wenn nicht bedrohliche Vorstellungswelten führen. Das scheinen mir keine guten Voraussetzungen um in einer von Jugendwahn und hemmungslosem Hedonismus geprägten Gesellschaft Aufträge zu bekommen …
Es ist die Frage, wieweit man sich die Themen seiner Arbeit aussuchen kann. Um wirklich überzeugend zu sein, muss man schon seinen Vorlieben folgen. Sich zu verstellen um sich besser vermarkten zu können, funktioniert nicht. Als Illustrator muss man auch keine Massen ansprechen müssen, man kann für eine kleine Zielgruppe arbeiten. In dieser Situation befinden sich zahlreiche Kollegen und man muss sich Konzepte überlegen, wie man seine Nische findet und seine Zielgruppe erreicht.

Es gibt eine starke Nachfrage bei stereotyper Gothic-Ästhetik – die virtuos von Tim Burton und einem Heer von Epigonen bedient wird –, das Düstere und Unheimliche hat also doch seinen kommerziellen Rahmen gefunden. Ausstellungen wie Gothic. Dark Glamour in New York 2008/09 oder Schwarze Romantik in Frankfurt vergangenes Jahr weisen ebenfalls darauf hin, dass sich nicht nur eine kleine Subkultur dafür interessiert. Und obwohl du auch E. A. Poe illustriert hast – so richtig wollen deine Arbeiten hier nicht hingehören …
Die stereotype Gothic-Ästhetik ist ohne Zweifel problematisch. Aber vielleicht kann der Erfolg von Ausstellungen wie Schwarze Romantik Ausdruck eines Interesses an Fragestellungen sein, die eine hedonistische Kultur nicht beantworten kann. Vergänglichkeit oder Melancholie sind auch für mich von Bedeutung. Aber sie bilden nur einen Teilaspekt neben Themen, die z.B. auch in der Epoche der Romantik behandelt wurden, wie die Natur, das Seelenleben oder Mythen. Vielleicht kann man von einer allgemeinen Faszination für traum- und rätselhafte Welten sprechen. Diese eignen sich ideal, die Gefühle der Protagonisten darzustellen, wie z.B. in der Geschichte Waldminiatur.
Die Poe-Zeichnungen stellen allerdings ein Ausnahme in meiner Arbeit dar, da sie eine Auftragsarbeit waren und das Horror-Genre bedienen sollten. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich sonst für diesen Text entschieden hätte. Mir fehlt da der Bruch. Reizvoller sind sicherlich Geschichten, bei denen man diese Art der Zeichnungen nicht erwarten würde.
Generell beobachte ich die Reaktionen auf meine Arbeit und bin immer wieder überrascht, dass gedeckte Farben als so beängstigend empfunden werden können. Gerade diese Töne strahlen meiner Meinung nach eine angenehme Ruhe aus und schwarz-weiße Nebellandschaften wirken sehr friedlich auf mich.
Ähnliche Missverständnisse sind bei den Figuren zu beobachten, deren Anatomie sich aufzulösen scheint wie bei den Hirschen in Waldminiatur. Hier steht der Reiz für die Schönheit von organischen Strukturen und nicht für verfallende Körper im Vordergrund. Die einzelnen Schichten einer Collage ermöglichen es, eine Transparenz zu erzeugen, die an Röntgenaufnahmen erinnert. So können verborgende Ebenen freigelegt werden, um das Innere zu erforschen. Dabei spielt eine Neugier für Verborgenes eine grössere Rolle als eine morbide Faszination.

Deine Arbeiten sind von einer starken Materialität geprägt. Du kombinierst Zeichnung, gedruckte Vorlagen, Fotografie und Objekte, deren Oberfläche häufig aufgebrochen und verwittert ist. Müssen wir uns dein Atelier als barocke Wunderkammer vorstellen?
Für eine richtige Wunderkammer benötigt man viel Platz und Geld. Wenn ich beides hätte, würde ich bestimmt unzählige Kuriositäten sammeln, ausgestopfte Krokodile unter die Decke hängen und medizinische Apparate anhäufen, bei deren Anblick man froh über die Erfindung der Narkose ist.
Aber im Rahmen meiner Mittel sammle ich kleine Objekte, die man auf Flohmärkten findet. Wenn man sich mit diesen im Atelier umgibt, kann das sehr inspirierend wirken. Die Gebrauchsspuren, die Materialität oder die Vorgeschichte, die sie in sich tragen, strahlen eine anregende Aura aus. Wenn ich keinen Zugang zu meiner Gedankenwelt finde, arbeite ich gelegentlich mit diesen Objekten. Dann werden sie miteinander kombiniert, zersägt oder abgegossen. Dieser spielerische Umgang und die Tätigkeit mit den Händen setzen häufig einen ganz eigenen Gedankenprozess in Bewegung. So sind auch z.B. viele der Objekte entstanden, die ich für die Collagen der Wald-Geschichte benutzt habe.

Auftragsarbeiten und freie Arbeiten lassen sich bei dir stilistisch kaum unterscheiden. Gibt es dennoch unterschiedliche Herangehensweisen?
Auf jeden Fall! Bei persönlichen Arbeiten kann ich das Thema frei wählen und mich treiben lassen, bis ich ein brauchbares Ergebnis entwickelt habe. Dieser Prozess läuft sehr intuitiv ab und funktioniert nur bei bestimmten Themen, die mich persönlich auch ansprechen. Meistens beginnt die Arbeit mit einer Faszination für ein Bild, erst im Anschluss entsteht dann eine Bedeutung. Bei Auftragsarbeiten läuft es genau umgekehrt. Sie schränken durch ihre Rahmenbedingungen und Zielvorgaben stark ein. Ich kann das Thema nicht beeinflussen und muss es längere Zeit untersuchen, bevor ich anfangen kann. Ich muss einen Zugang finden, der zu meiner visuellen Welt passt. Die anschliessende Umsetzung ist dann ergebnisorientiert, damit die Illustration die Vorgaben erfüllt. Das führt häufig zu einer verkopften Arbeit, wobei mir die intuitive nicht nur besser gefällt, sie führt meiner Meinung nach auch zu besseren Resultaten.

Das Groteske ist bekanntlich eine Kombination disparater Teile zu einer neuen Gestalt. In deinen Illustrationen für GEO sehen wir beispielsweise Schwalben mit antiken Tiefseetaucherhelmen. In der Werbung tauchen auch immer wieder groteske Figuren auf – nicht immer eine glückliche Wahl. Ich erinnere mich beispielsweise an Plakate für die Grüne Woche, auf denen Kombinationen aus Tier und Gemüse für kulinarische Vielfalt werben sollten, aber doch eher an gescheiterte Gen-Experimente erinnerten. Man kann aber wohl sagen, dass das Groteske als Konzept immer wieder fasziniert, wie erklärst du dir diese Faszination?
Das Groteske verkörpert das Unbekannte und Unheimliche und faszinierte schon immer, besonders wenn es aus einer sicheren Distanz beobachtet werden kann, wie bei einer Freakshow. Aus gestalterischer Sicht ist die Kombination von gegensätzlichen Elementen ein einfaches und wirkungsvolles Mittel. Diese Zwitterwesen sind leicht zu erstellen und leicht zu verstehen. Aber es gibt natürlich Abstufungen und so sind plakative und provokante Kombinationen genauso möglich wie subtile und poetische. Aber ich gebe Dir Recht, viele dieser Zwitterwesen, die aus Photoshop herauskriechen, wirken wirklich wie Fehlversuche aus dem Gen-Labor. Abgesehen davon ist dieses Gestaltungsmittel natürlich auch eine gute Form der Kommunikation. Im Fall der »Schwalben« sollte für das GEO-Magazin Platons Theorie für die Zugvögel visualisiert werden. Dieser vermutete nämlich, dass die Vögel auf den Grund der Seen tauchten, um dort ihren Winterschlaf zu halten.

Wie stark beziehst du dich in deinen Arbeiten auf aktuelle Ereignisse, seien sie persönlich erlebt oder medial vermittelt?
Ereignisse aus dem aktuellem Tagesgeschehen haben kaum direkten Einfluss. Natürlich gibt es viele eindrucksvolle Bilder in den Medien, die sich in irgendeiner Form im Gedächtnis festsetzten und sich eventuell unbewusst in eine Illustration einschleichen. Dafür kann aber eine persönliche Stimmung in die Arbeit mit einfliessen. Das lässt sich auch kaum vermeiden, da diese ja wie ein Filter die Sichtweise bestimmt und dadurch das Ergebnis einfärbt.
Gelegentlich kann auch eine persönliche Faszination für ein Thema bei einem Job hilfreich sein. Wie z.B. im letzten Jahr, als ich mich mit dem Drachen tötenden Erzengel Michael beschäftigt habe. Als dann kurz darauf die Apokalypse im GEO-Magazin thematisiert wurde, konnte ich prima darauf zurückgreifen.

Neben deinen Illustrationen hast du auch an Animationsfilmen gearbeitet, was macht die Animation für dich interessant?
Vor einiger Zeit hatte ich mich mehr mit Bewegtbild beschäftigt. Die Projekte zu der Zeit waren ideal für eine filmische Umsetzung. Die aktuellen Ideen dagegen eignen sich besser für ein Buch, weshalb die Animationen gerade auf Eis liegen. Natürlich hat der Film viele Vorteile, er verbindet Bild, Bewegung und Ton. Aber ein Buch existiert dafür physisch im Raum, man kann es in den Händen halten und sein Gewicht spüren. Dazu ist es sehr flexibel. Der Leser kann sein eigenes Tempo festlegen, kann sich in Details verlieren oder Seiten überfliegen. Dazu kann er seine Leserichtung bestimmen, kann Teile überspringen oder zu interessanten Absätzen zurückkehren. All diese Möglichkeiten erlauben es, Geschichten zu erzählen, die im Film nicht denkbar wären. Dazu darf man den organisatorischen Aufwand bei einer Filmproduktion nicht vergessen, wodurch man inhaltlich sehr festgelegt ist. Es wird anfangs ein Storyboard erstellt, das dann in den folgenden Monaten umgesetzt wird. Man wird also schnell zum Sklaven seiner eigenen Idee. Bei einer Buchproduktion ist man dagegen autonom und flexibel. Es wäre allerdings wünschenswert, wenn es für gezeichnete Bücher eine ähnliche finanzielle Kulturförderung gäbe, wie sie im Filmbereich üblich ist.

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